Samstag, 13. Dezember 2008

Serie "Russischer Fim" im Über-Setzer-Blog

Юность поэта - Jugend eines Dichters (1937)

Gabriele Zöttls Serie »Russischer Film«

Aus dem Vorwort "Was soll das werden?": "In nächster Zeit werde ich hier einen kleinen Streifzug durch die russische Filmgeschichte machen. Da es für ein deutsches Publikum nicht unbedingt leicht ist, sich selbst ein Bild von der russischen Filmwelt zu machen, möchte ich keine ausführlichen Besprechungen der Filme schreiben, die man als Filmliebhaber gesehen haben muß, sondern kurze Beschreibungen von Filmen, die tatsächlich gesehen wurden und werden. Weil es mir also mehr um die Breite als um die Tiefe geht, berücksichtige ich bei der Auswahl der Filme vier Aspekte:

- Filme, die jeder Russe kennt
- Querschnitt durch alle Genres
- Querschnitt durch hundert Jahre Filmgeschichte
- Meilensteine und Meisterwerke ...

Aus "Die Geburt des russischen Films": 1886 eröffnete der Kaufmann Georgij Aleksandrov/Георгий Александров in Petersburg einen der damals europaweit beliebten Vergnügungsparks, den Aquariumgarten/Сад Аквариум, mit einem Restaurant, einer Freiluftbühne, auf der Orchester und Сhöre auftraten, und allerlei Unterhaltung für’s Volk – Fesselballons, Seiltänzern, Feuerwerken und sensationellen Eiskunstwerken im Winter. 1891 ließ Aleksandrov im Aquariumgarten ein Theater (Steintheater/Каменный театр) bauen, das 2500 Zuschauern Platz bot. Dieses Theater ist mit Namen wie Šaljapin/Шаляпин und Čajkovskij/Чайковский verbunden; bekannte europäische Theater- und Operntruppen gaben hier Gastspiele. Vor dieser zugleich glanzvollen und volksnahen Kulisse fand im Mai 1896 die erste Vorführung des Cinématographen der Brüder Lumière statt ...

Beispiel - Filminhalt:
"Jugend eines Dichters (1937) - Юность поэта"


Können Sie sich vorstellen, daß ein Film über einen Dichter der Romantik, der eine gewisse Vertrautheit mit der Literatur und Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts voraussetzt, die Kinosäle füllt? Genau das geschah 1937, als Jugend eines Dichters/Юность поэта über die Leinwand flimmerte. Dabei ist die Geschichte ganz einfach und in Rußland auch jedermann bekannt:
1814. Drei Jahre sind seit Aleksandr Puškins/Александр Пушкин Eintritt in das kaiserliche Elite-Lyzeum in Carskoe Selo/Царское Село vergangen, als die Rückkehr des Zaren/император Александр I aus Paris mit einem Fest im Park von Carskoe Selo gefeiert wird. Der junge Puškin, der, statt sich in Schale zu werfen, dichtend am Schreibtisch sitzt, fühlt sich von dem Festlärm gestört und schlägt schwungvoll das Fenster zu. Auch daß ihm die Teilnahme am kaiserlichen Fest verboten wird, weil seine Paradeuniform ganz unvorschriftsmäßige Löcher hat, stört ihn nicht weiter, streift er doch ohnehin lieber mit seinem Freund durch die Wiesen.
Damit wird gleich in der ersten Szene der Konflikt zwischen Zar und Ordnung einerseits, Dichter und Freiheitswillen andererseits angelegt, der in den folgenden Szenen ausgebaut wird: Puškin vergißt den Unterricht, weil er in ein Buch vertieft ist. Er streift nachts durch die Gegend, statt brav zu schlafen. Auf dem Ball möchte er vor Langeweile aus dem Fenster fliehen, doch in das Fenster der leibeigenen Schauspielerin Nataša klettert er gerne. Die junge Fürstin Ėllen, der die »linientreuen« Lyzeumsschüler nachlaufen, ist ihm zuwider, während er sich zu aller Entsetzen in Nataša verliebt. Mit dieser Geisteshaltung steht Puškin jedoch nicht allein da. Auch seine Freunde ziehen Stegreifgedichte den im Unterricht nach Vorschrift verfaßten Oden vor, trinken verbotenen Punsch und schreiben Gedichte, die gegen alle Regeln verstoßen. Dieser Gruppe der »Dichter« stehen die von Komovskij angeführten Schüler gegenüber, die sich genau so verhalten, wie das von jungen Adligen erwartet wird.
Die Freiheiten, die sich die »Dichter« herausnehmen, rufen den allmächtigen Arakčeev/Алексей Аракчеев auf den Plan, der den pensionierten Offizier Frolov zum neuen Direktor bestellt. Er soll der Freigeisterei ein Ende setzen und widmet sich dieser Aufgabe mit Feuereifer. Sogar zum Morgengebet läßt er die Schüler im Gleichschritt aufmarschieren. Als die Jungen unter seinem militärischen Drill zum offenen Widerstand übergehen, möchte Frolov den Unruhestifter Puškin vom Lyzeum verweisen lassen. Seine Rede vor dem Aufsichtsrat geht jedoch im lauten Spottgesang der »Dichter« unter. Der Rat beschließt daraufhin, vorerst niemanden zu relegieren, sondern die Schüler in dem Fach, in dem sie sich gerade so lautstark betätigt haben – der Dichtkunst –, einer strengen Prüfung zu unterziehen. Diese Prüfung soll von Gavriil Deržavin/Гавриил Державин abgenommen werden, der damals als der größte russische Dichter galt.
Als Puškin an der Reihe ist, sein Prüfungsgedicht vorzulesen, fallen dem greisen Dichterfürsten schon fast die Augen zu. Das ändert sich jedoch schlagartig, als Puškin nach einer Kunstpause mit dem freien Vortrag seines Gedichtes Erinnerungen an Carskoje Selo/Воспоминания в Царском Селе beginnt. Frolovs Erwartung, der unverbesserliche Nichtsnutz können nur versagen, wird enttäuscht. Mit dem Ausruf »Das ist Musik! Haben Sie das gehört, Herrschaften? Das ist ein Dichter! Jetzt kann ich in Ruhe sterben« dankt Deržavin Puškin für seinen Vortrag.
Epilog. Die Jahre im Lyzeum gehen zu Ende. Hier hat nun der Zar (mit einer Ausstrahlung wie Zuckerwatte) einen kurzen Auftritt: Er ersetzt Frolov, der ihm zu engstirnig und grob ist, durch einen neuen Direktor, der die Schüler mit Samthandschuhen zu echten Adligen erziehen soll. Gleichzeitig entläßt er jedoch auch einen allseits beliebten Lehrer, weil dieser den Jungen angeblich republikanische Ideen vermittelt. Außerdem erkundigt er sich persönlich nach dem Wohlergehen des Schülers Puškin. Der ist gerade voller Inbrust dabei, vor einem begeisterten Publikum freiheitliche Gedichte zu rezitieren, als ihm Nataša die Nachricht überbringt, daß sie verkauft wurde.
Der Film klingt im von Del’vig geschriebenen Abschiedslied der Schüler aus, das traurig beginnt (Natašas Abreise) und hoffnungsfroh endet (gemeinsamer Aufbruch der »Dichter«) ... Zur weiteren Besprechung - Serie Russischer Film ... Mehr zu Puschkin

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