Samstag, 13. Dezember 2008

Russische Literaten: Nikolai Leskow (2)

<= Bild aus dem ZVABlog (Link sh. unten)
Hanns-Martin Wietek
Nikolai Semjonowitsch Leskow, Journalist und Schriftsteller, Teil 2 (zu Teil1)
Mehr als die seiner Zeitgenossen muss man die Werke Nikolai Semjonowitsch Leskows im Zusammenhang mit dem politischen Zeitgeschehen sehen, denn aufgrund seiner Herkunft aus dem Journalismus fühlte er sich der Aktualität verpflichtet. Aber er ist kein politischer Schriftsteller im strengen Sinn, denn sein journalistischer Ansatz forderte, über vielerlei zu schreiben, von dem er meinte, dass es seine Leser wissen sollten; und er schrieb für den Leser, es musste also spannend sein – er wollte, im weitesten Sinne des Wortes, unterhalten. Dass er anders als seine Schriftstellerkollegen jahrelang durch ganz Russland gereist war und die verschiedensten Völker und ihre Gebräuche und Glaubensrichtungen kennengelernt sowie mehrmals im Ausland gelebt hatte, bescherte ihm eine Vielzahl von Themen. Man kann seine Werke demnach nicht nur zeitlich, sonder auch thematisch ordnen, was auch Leskow selbst gemacht hat, als er sie für die Herausgabe in seinen Gesammelten Werken in Zyklen zusammenfasste.
Die journalistische Herangehensweise an das Schreiben bedingte außerdem, dass Leskow Erzählungen weit mehr lagen als Romane; hier erbrachte er teilweise wahre Meisterleistungen.

Seine Romane
Romanchroniken, kleineren Chroniken und romanhaften Memoiren sind alle in der ersten Zeit seines Schaffens entstanden und haben alle politischen Charakter: Ohne Ausweg (1864, auch: In der Sackgasse) – unter dem Pseudonym M. Stebnickij veröffentlicht –, Die Übergangenen (1865), Die Inselbewohner (1866), Bis aufs Messer (1870/71, auch: Mit blanken Messern), Ein rätselhafter Mensch (1870) – eine Lebenschronik des Garibaldi-Anhängers Arthur Benni –, Ein absterbendes Geschlecht (1874, auch: Ein degeneriertes Geschlecht) – Leskows eigenes Lieblingswerk, das zu den besten russischen Familienromanen zählt – und Irrlichter (1875, auch: Kinderjahre) – Kindheitserinnerungen des Autors.
Da Leskow, wie er selbst sagte, zu wenig Fantasie hatte, um Personen zu erfinden, nahm er sich lebende Personen als Vorbilder, die er dann ausspann; gewollt oder ungewollt (häufig gewollt!) erkannten sich die realen Personen jedoch (und auch die anderen erkannten sie) und waren erbost über die ihnen zugedichteten Eigenschaften oder Handlungen. Das brachte ihm heftige, langjährige Feindschaften ein und seine Werke wurden als Pamphlete (aus der Sicht der Angegriffenen nicht ganz unverständlicherweise) zerrissen; dass er außerdem heiße Eisen in diesen Romanen anfasste, wog zusätzlich schwer.
Die genannten Romane sind - mit Ausnahme der Irrlichter - in deutscher Sprache nicht erhältlich, daher soll hier nicht weiter auf sie eingegangen werden. (Vsevolod Setschkareff beschäftigt sich in N. S. Leskov – Sein Leben und sein Werk näher mit ihnen.)
Aus dem aufgezogenen Rahmen fällt ein bislang noch nicht erwähntes Werk: Leskows satirische Romanchronik Soborjane (1872, dt. Titel Die Klerisei), die die wohl authentischste Beschreibung der orthodoxen Geistlichkeit in der russischen Literatur darstellt und ihm große Popularität verschaffte. Sie enthält einerseits amüsante Anekdoten, die in kirchlichen Kreisen mit Schmunzeln gelesen wurden, andererseits übt ihr Verfasser aber auch Kritik an den Schattenseiten der Kirche. Dafür kritisierte man ihn – ausgerechnet ihn, den ausgemachten Feind der Nihilisten – wegen nihilistischer Tendenzen. Die Klerisei berichtet von folgenden Gegebenheiten:
In der Provinzstadt Stargorod wird der Erzpriester Tuberozow von der Kirchenbehörde mit dem Auftrag eingesetzt, die Altgläubigen in den Schoß der offiziellen Staatskirche zurückzuführen. Gemeinsam mit seinem Diakon Achilla, einem bärenstarken, gutmütigen aber eigenwilligen Mann, soll er diese Aufgabe bewältigen. Nach vielen, vielen Ereignissen – Episoden und Skizzen, in deren Mittelpunkt vielfach der Diakon steht – muss er seinem Scheitern ins Auge sehen; das Hauptübel sind die starren Dogmen der Orthodoxie, die eine Erneuerung des christlichen Glaubens verhindern. Tuberozow beginnt einen Kampf gegen die kirchliche Administration und fordert in einer letzten großen Predigt die Trennung von Kirche und Staat. Er wird seines Amtes enthoben und stirbt als gescheiterter Idealist; er ist ein Held, „der an der kleinlichen russischen Bürokratie zugrunde geht und dessen Anlagen nicht zur Entwicklung kommen können und ebenfalls in Kleinigkeit und zuweilen Lächerlichkeit enden“, so Setschkareff.
In dieser Romanchronik rüttelt Leskow noch nicht an den Grundfesten der Amtskirche, der orthodoxen Staatskirche, die letztlich unter der Oberhoheit des Staates steht – obwohl ihm dies vielfach von seinen Zeitgenossen vorgeworfen wurde. Erst zwanzig Jahre später lehnt er die Kirche als befehlende Glaubensinstitution ab. 1893 schreibt er über Die Klerisei: „In jedem Fall würde ich sie jetzt nicht mehr schreiben. Statt dessen schrieb ich gern die ‚Aufzeichnungen eines Entweihten’“.
In der Klerisei zeigt Leskow übrigens auch, dass er durchaus zu Schilderungen der Natur und Naturgewalten, die in seinen Werken aus weiter oben genannten Gründen selten sind, fähig ist. Laut Setschkareff zählt „die wahrhaft klassische Schilderung des Gewitters, das den ‚Umbruch‘ in der Seele Savelijs bewirkt, … wohl zu den schönsten Naturschilderungen der Weltliteratur überhaupt“ ... Weiterlesen im ZVABlog - Webseiten des Autors Hanns-Martin Wietek: Büchervielfraß

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