Nikolai Semjonowitsch Leskow, Journalist und Schriftsteller (Teil I)
Ljesskow war wohl der russischste unter allen russischen Dichtern, sogar russischer als Dostojewskij; westeuropäische Einflüsse und Interessen (wie bei Dostojewskij für Balzac, Schiller, Hoffmann) waren ihm völlig fremd. Er wurzelt ganz in der russischen Scholle, und der Ausländer lernt das eigentliche Antlitz Russlands (des alten) aus seinen Erzählungen viel besser kennen als aus den Werken Gogols, Dostojewskijs oder Tolstois.
So schreibt 1922 der 1906 aus Moskau nach München emigrierte Literaturkritiker und bekannte Übersetzer vieler russischer Schriftsteller Alexander Eliasberg (*1887, †1924) in Russische Literaturgeschichte in Einzelporträts. Er schätzt an Leskow „die Fähigkeit, jede Bagatelle zu einem atemberaubenden Drama zu machen“ und fährt fort: "Das russische Wort, und zwar das wirklich gesprochene und nicht geschriebene, gebrauchte und liebte er nicht nur als Mittel, seine Gedanken auszusprechen, sondern als etwas Primäres und Autonomes; er läßt es Purzelbäume schlagen und jongliert damit, z. B. in der unübersetzbaren Erzählung ,Der stählerne Floh’, wie ein Christian Morgenstern."
Thomas Mann, der durch Eliasberg mit der russischen Literatur vertraut wurde, nannte Leskow „einen erstaunlichen Fabulierer“, als er 1921 das erste Mal mit seinem Werk in Berührung kam. Maxim Gorki, der „Literaturpapst“ der Revolution, schreibt über ihn: "Als Meister des Wortes nimmt Leskow einen würdigen Platz neben so bedeutenden schöpferischen Meistern der russischen Literatur wie Tolstoi, Gogol, Turgenjew und Gontscharow ein. An Kraft und Schönheit steht das Talent Leskows kaum hinter dem jedes dieser Mitgestalter am Buch der Bücher von der russischen Erde zurück. An Umfang und Weite der erfaßten Erscheinungen des Lebens, an Tiefe des Verständnisses für die Rätsel des Alltags, an subtiler Kenntnis der großrussischen Sprache aber übertrifft er nicht selten noch diese seine Vorläufer und Mitkämpfer."
Und an anderer Stelle: "Ich habe im Leben Dutzende von hervorragenden, begabten Menschen mit großen Talenten kennengelernt, in der Literatur – dem ‚Spiegel des Lebens’ – fanden sie jedoch entweder überhaupt kein oder nur ein so verschwommenes Abbild, daß ich sie gar nicht bemerkt habe. Bei Leskow aber, der unermüdlich dem eigenartigen, originellen Menschen auf der Spur war, gab es solche Leute, wenngleich sie nicht so aussahen, wie sie meiner Ansicht nach hätten aussehen müssen."
Oder: "Der Grundzug ihres Wesens ist ihr Opfermut, doch sind es nicht ideologische Erwägungen, die sie veranlassen, sich für eine Wahrheit oder eine Sache aufzuopfern; das geschieht vielmehr unbewußt, einfach, weil es sie zur Wahrheit, zum Opfer hinzieht. Leskow gestaltet seine Helden als Gerechte, als starke Menschen, die zäh und verbissen eine weltumspannende Wahrheit suchen, aber er hat für sie keine hysterischen Tränen wie Dostojewski, sondern verhält sich zu ihnen mit der Ironie eines gutmütigen und nachdenklichen Menschen."
Gorki zollte Leskow höchstes Lob, indem er von ihm sagt: „In der Seele dieses Mannes verbanden sich auf einzigartige Weise Gewißheit und Zweifel, Idealismus und Skeptizismus“, und er bekennt im Vorwort zu Leskows Gesammelten Werken: „Ich denke, daß auf mein Verhältnis zum Leben Pomaljowski, Uspenski und Leskow – jeder auf seine Art – einen Einfluß ausgeübt haben“.
Wie aus diesen Zitaten hervorgeht, war es nicht nur das schriftstellerische Können Leskows, das Gorki anzog, es war auch die Einstellung, die er emotional mit ihm teilte: Beide waren erbitterte Kämpfer für soziale Veränderungen und beide lehnten – in unterschiedlichem Grad – Gewalt im Sinne einer blutigen Revolution (oder gar einen Bürgerkrieg) ab (siehe auch Gorki, Revolutionär und Pragmatiker, ebenfalls erschienen in dieser Kolumnenreihe). Im Gegensatz zu Gorki war Leskow jedoch kein revolutionärer, sondern ein utopischer Sozialist – wenn man denn seine Grundüberzeugung überhaupt einzuordnen versucht. (Die utopischen Sozialisten glaubten, die Gesellschaft in Harmonie, durch Überzeugskraft verändern zu können.)
Gorki und Leskow waren seelenverwandt, sie waren von ähnlichem Charakter (der Seele eingebrannte Eigenschaften) und es zeigt sich in diesem Zusammenhang einmal mehr, dass es ungerecht ist, Gorki allein vor dem Hintergrund seiner pragmatischen Phase zu beurteilen.
Die Unbedingtheit, mit der Leskow Reformen forderte, jede Gewalt aber ablehnte, seine unbeugsame Haltung, seine Geradheit, Offenheit und Impulsivität machten ihn bei seinen Zeitgenossen dagegen nicht beliebt. Die oppositionellen Intellektuellen hielten ihn für einen Moralisten tolstojanischer Prägung oder einen Prediger christlicher Werte und für einen Feind revolutionärer Ideen, ja sogar für einen Feind jeglicher Veränderung; die Konservativen sahen in ihm einen Kritiker staatlicher und kirchlicher Hierarchie und Umstürzler, wobei beide bis zu einem gewissen Grad recht hatten. Leskow wollte einen gewaltfreien Mittelweg gehen. Die Gesellschaft war damals jedoch so zugespitzt in Revolutionäre und Regierungsanhänger (also die, die vom herrschenden System profitierten) gespalten, dass ihn die einen als Reaktionär und die anderen als Revolutionär abstempelten und er zwischen den sprichwörtlichen Stühlen landete ... Weiterlesen im ZVABlog - Webseiten des Autors Hanns-Martin Wietek: Büchervielfraß
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