Mittwoch, 10. Dezember 2008

Russische Literaten: Michail Jurjewitsch Lermontow

Hanns-Martin Wietek
Michail Jurjewitsch Lermontow
- Offizier, Dichter und soziales Gewissen


Der Tod des Dichters (Februar 1837)

Der Dichter fiel! …. Als Sklave der Ehre
ist er gefallen, verleumdet vom Gerücht,
mit Blei in der Brust und dem Durst nach Rache,
beugend sein stolzes Haupt! …
Die Seele des Dichters hatte
die Schmach kleinlicher Kränkungen nicht mehr ertragen,
er hatte sich erhoben gegen die Meinungen der Gesellschaft,
allein wie schon immer… und er wurde getötet!
Getötet … wozu jetzt das Weinen,
der unnütze Chor leerer Lobeshymnen
und das klägliche Gestammel der Rechtfertigung?
Das Urteil des Schicksals wurde vollstreckt!
Habt ihr nicht eben noch auf infame Weise
seine freie, kühne Begabung gejagt
und den kaum verborgenen Brand
zum Spaß angefacht?
Nun, so vergnügt euch denn … er vermochte die letzten
Peinigungen nicht zu ertragen:
Einer Fackel gleich erloschen ist der herrliche Genius,
verwelkt ist der triumphale Kranz.

Kaltblütig hat sein Mörder
den Schlag geführt … eine Rettung gab es nicht:
Gleichmäßig schlägt das leere Herz,
die Pistole zittert nicht in der Hand.
Und was ist daran auch so erstaunlich? … aus der Ferne,
Hunderten anderen Flüchtlingen gleich,
wurde er auf der Jagd nach Glück und Karriere
nach dem Willen des Schicksals zu uns verschlagen,
lächelnd verachtete er frech
Sprache und Sitte des fremden Landes,
konnte ihn, der unser Ruhm war, nicht verschonen;
vermochte in jenem blutigen Augenblick nicht zu begreifen,
wogegen er seine Hand erhob!

Und er wurde getötet – und aufgenommen vom Grab,
wie jener unbekannte, doch liebenswürdige Sänger,
eine Beute gefühlloser Eifersucht,
besungen von ihm mit so wunderbarer Kraft,
von einer erbarmungslosen Hand gefällt, wie auch er.

Warum nur trat er aus den friedlichen Wonnen und der aufrichtigen Freundschaft
ein in diese neidische Welt, so bedrückend
für ein freies Herz und feurige Leidenschaften?
Warum reichte er nichtswürdigen Verleumdern die Hand,
warum schenkte er lügnerischen Worten und Schmeicheleien Glauben,
er, der doch von jungen Jahren an die Menschen durchschaut hatte?

Und sie nahmen ihm den einstigen Kranz – eine Dornenkrone,
mit Lorbeer umwunden, setzten sie ihm auf:
Doch verborgene Nadeln verletzten
roh seine ruhmreiche Stirn;
vergiftet wurden seine letzten Augenblicke
durch das hinterhältige Geflüster höhnischer Ignoranten,
und er starb mit dem vergeblichen Durst nach Rache,
mit dem geheimen Verdruss betrogener Hoffnungen.
Verstummt sind die Klänge seiner wunderbaren Lieder,
sie werden nie mehr erklingen: Düster und eng ist die Heimstatt des Sängers,
und auf seinen Lippen liegt ein Siegel.

Ihr aber, ihr hochmütigen Nachkommen
eurer für ihre notorische Schurkerei berühmten Väter,
die ihr mit sklavischem Fuß jene erledigt habt,
die von den durch die Laune des Schicksals gekränkten Geschlechtern übriggeblieben waren!
Ihr, die ihr am Thron steht als gierige Schar,
Henker von Freiheit, Genie und Ruhm!
Ihr verbergt euch hinter dem schützenden Gesetz,
vor euch müssen Gericht und Wahrheit, muss alles schweigen …
Doch gibt es ein göttliches Gericht, ihr Lieblinge des Lasters!
Es gibt ein furchteinflößendes Gericht: Es erwartet euch;
das wird nicht weich beim Klang des Goldes,
und die Gedanken und Taten kennt es im voraus.
Vergebens werdet ihr dann eure Zuflucht bei der Verleumdung suchen:
Noch einmal wird sie euch nicht helfen,
und mit all eurem schwarzen Blut werdet ihr nicht fortwaschen
das gerechte Blut des Dichters!


Dieser Aufschrei und zugleich wütende Anklage war des zweiundzwanzigjährigen Offiziers und Dichters Michail Lermontow Antwort auf Puschkins Tod in einem hinterhältigen Duell.
[Das Gedicht ist entnommen: Michael Lermontow, Gedichte, Russisch/Deutsch Übersetzt von Kay Borowsky und Rudolf Pollach. Reclams Universalbibliothek 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart (mit kleinen Änderungen, hmw)]
Lermontow lag während der drei Tage, die Puschkin nach dem Duell mit dem Tode rang, krank zuhause und bekam von Freunden, seinem Arzt und Bekannten die Reaktionen einerseits der höfischen Gesellschaft und andererseits der progressiven Intellektuellen berichtet. Erstere sprachen voller Genugtuung, Hohn und Freude über Puschkins Tod, Letztere waren sprachlos vor Ohnmacht ob der Dreistigkeit dieses Mordes – denn die Falle und die Hinterhältigkeit dieses Duells kam einem Mord gleich. Puschkin war die große literarische (und damit auch soziale) Hoffnung der Menschen gewesen.
Noch vor Puschkins Beerdigung wurde »Der Tod des Dichters« zu Zehntausenden – wie damals üblich – abgeschrieben und verbreitet.
Nachdem Lermontow in seinem Gedicht den Tod des Dichters beklagt und seinen Mörder verurteilt hat, wagt er in den letzten sechzehn Zeilen des Gedichts etwas Ungeheuerliches: Er verurteilt die höfische Gesellschaft in nie da gewesenen scharfen Worten und klagt sie des Mordes, des Rechtsbruches, der Verleumdung und der Korruption an. Eine Ungeheuerlichkeit ohnegleichen.
Zar Nikolaus I. reagierte entsprechend: er schrieb auf den Bericht des allmächtigen Chefs der Geheimpolizei Graf Benckendorff (eben der, der Puschkins Tod betrieben hatte) über den verbrecherischen Freigeist Lermontow, man solle ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. (Wenige Monate zuvor war schon der Philosoph Pjotr Tschaadajew für geistesgestört erklärt worden – eine Methode, die von den Sowjetherrschern effektiviert wurde.)
Lermontow wurde „nur“ zur kämpfenden Truppe in den Kaukasus strafversetzt – ein Glücksfall für die Literatur, wie sich dann noch herausstellen sollte, denn er wurde zum ersten Dichter dessen Sujet nicht die russische Weite und Unendlichkeit, sondern die malerische, fremde, raue und zugleich schöne Gebirgswelt war. Er war übrigens auch – leider zu wenig beachtet – Maler dieser Landschaft ... Weiterlesen im ZVABlog - Webseiten des Autors Hanns-Martin Wietek: Büchervielfraß

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